Wie einen Fächer stelle ich mir eine Seele vor. Zu ihm gehören alle Falten und Facetten, die meine Persönlichkeit ausmachen: Ein Teil von mir ist abenteuerlustig und traut sich was. Ein anderer braucht Vertrauen und Nähe. Ein Teil von diesem Fächer ist entschlossen und stark, ein anderer zurückhaltend und unsicher. Ich habe eine musikalische Ader, zu der ich viel zu selten komme. Und manche Stellen von diesem Fächer möchte ich am liebsten niemals aufmachen.
Ich glaube, dass alle Menschen so sind. Welches Stück von diesem Fächer ich gerade öffne und zeige, das hängt davon ab was ich gerade brauche oder mir selbst erlaube. Davon, ob mein Umfeld mir dafür den Raum und die Gelegenheit gibt. Oder ob eine Situation mich einengt – so dass sich der Fächer meiner Seele öffnet oder schließt.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist. Der HERR aber sieht das Herz an.“ Der Wanderprediger Jesus aus Nazareth hat sehr viel Zeit damit verbracht, den Menschen zu sagen, was sie alles auch sind. Zacchäus zum Beispiel ist gar nicht nur der raffgierige Zöllner, für den ihn alle halten. Er ist auch ein Gastgeber und jemand, der sich nach Gemeinschaft sehnt. Jesus gibt ihm dazu die Gelegenheit, indem er ihn besucht. Den wut-schnaubenden Pharisäern hält er entgegen: „Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Denen die da Leid tragen ruft er in der Bergpredigt zu, dass sie selig sind, denn sie sollen getröstet werden. Und Petrus ist ein erfolgloser Fischer am See von Genezareth, bis Jesus in ihm einen besten Freund sieht und das Fundament für eine weltweite Bewegung. Von Jesus bekommt er dazu die Chance.
Christinnen versuchen ihm das nachzumachen. Wenn sie Seelsorge anbieten, dann geben sie anderen die Gelegenheit, den Fächer ihrer Seele zu entfalten. Sie versuchen Menschen zu empowern. Ihnen Weite zu geben für die Facetten, die sie öffnen möchten. Manche brauchen dafür die singende, fröhliche Gemeinschaft in einem Weihnachts-Gottesdienst. Andere suchen die Stille an einem guten Ort. Oder das Gespräch mit einem Menschen, der ihnen einfach nur zuhört oder auch mal genau die richtigen Fragen stellt. Menschen entdecken dann manchmal ihre verborgenen Gaben. Oder sie öffnen in der Beichte die schmerzenden Falten ihres Seelen-Fächers. Und werden versorgt mit dem Versprechen, das schon damals Jesus den Menschen gegeben hatte: Auch das gehört zu Dir. Deine ganze Seele kann und darf frei sein und sich entfalten.
Pfarrer Philipp Bäumer