Liebe Leserinnen und Leser,
von Ostern will ich erzählen. Das gelingt nicht direkt. Ostern muss ich aufspüren. Es raschelt im Laub und flieht. Aber da war was! Bei meinen Versuchen merke ich, wie sich Erlebnisse auftun, weiter werden, vielversprechend. Ostern aufspüren, führt in ein „Dazwischen“: zwischen jetzt und dann, hier und noch fern, Gegenwart und Zukunft. Ich nehme drei Anläufe:
Sie atmet schwer und keuchend, schaut mich groß an und seufzt. Ich weiß von ihrer Krankheit. Traurig meint sie: Ich muss eben irgendwann gehen, – und dann lauter: Aber das will nicht in meinen Kopf! Sie drückt die Faust gegen die Stirn und schüttelt den Kopf. Und warum will sie denn noch nicht gehen? Plötzlich leuchten ihre Augen, um ihren Mund ein feines Lächeln. Ich will noch auf der Welt sein, die Natur genießen, Menschen begegnen und nette Gespräche führen. Wie ausgewechselt spricht sie, weich, begeistert wie ein junges Mädchen. „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (Eph 5,14). Ein Mensch erzählt und ich halte die Osterbotschaft daneben. Ich lese vom einen aus das andere. Ostern ist auf einmal, dass jemand wechseln kann von der Todesnähe in die ewig junge Liebe zum Leben, aus Lähmung in einen herzerwärmenden Moment. Und umgekehrt: Wo es uns gelingt, die Perspektive zu wechseln, kündigt sich was an; ahnen wir plötzlich etwas. Etwas Großes. Wir kennen es noch nicht. Ostern. Seit die Botschaft davon da ist, elektrisiert sie die Welt. Setzt sie unter Spannung. Und wir merken auf. Wir ahnen.
Eine Winternacht. Wir radeln durch flache Landschaft zwischen Potzham und Unterhaching. Tagsüber war hier was los. Nun liegt die Straße verlassen, ist nur noch Erinnerung an den Tagesbetrieb und ein Warten auf den nächsten Morgen. Ich genieße diese Wartelandschaft. Und merke: Diese Nacht im Januar ist erstaunlich wenig kalt. Der kühle Luftzug ermuntert mich. Alles an dieser Nacht ist auf einmal für mich. Der Nachthimmel begleitet uns. Ich radle unter ihm, mit ihm, auf ihn zu. Ich gehöre zu ihm und er zu mir. Und die Sterne, kleine Leuchtpunkte, zwinkern mir heimlich zu: Dein Morgen kommt. „Wir haben das prophetische Wort. Achtet darauf als ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen“ (2 Petr 1,19). Ostern deutet sich an. Noch ist es eine Hoffnung in der Nacht, die Fahrt aufnimmt: die Hoffnung auf den Ostermorgen für alle. Noch ist er nicht gekommen. Aber das Licht wartet bereits, um aufzugehen und alles in sich aufzunehmen.
Videotelefonat mit den Enkelkindern. Drei sind es von eineinhalb bis sechs Jahre. Was sie tun, ist so erfrischend. Kinder erfinden das Leben neu. Die beiden älteren Mädchen krabbeln am Boden, bellen und wiehern. Der jüngste Bruder hält die Zügel, läuft hinter den krabbelnden Schwestern her. Alle drei kichern. Eine Idee, die soeben in ihrer Mitte geboren wurde. Sie entdecken sie gemeinsam. Sie erleben sie gemeinsam. Ein Fund, der allen dreien eine Rolle gibt. Sie sind glücklich. „Meine Lieben, es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir IHM gleich sein“ (1 Joh 3,2). Ostern, die kommende Überraschung. Ein Finden und Herausfinden. Wir werden gemeinsam finden. Und unseren Platz finden im großen Wir. Es wird beglückend sein. Vor allem, weil wir ihm gleich sein werden, dem ersten, der den Weg fand aus dem Tod ins Leben, der überraschend in neues Licht geriet. Ostern heißt, bei ihm anzukommen. Wir erkennen uns gegenseitig: Jetzt bin ich bei dir und du bei mir. Es ist ein ausstehendes Geheimnis. Und uns wurde es bereits geschenkt, damit wir damit leben.
Pfarrer Sebastian Degkwitz