Schutzkonzept zur Prävention

Was bringt denn ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt?

Das Wichtigste: Es schafft Bewusstsein bei allen, die sich damit beschäftigen. Es gibt übrigens Hinweise, dass so ein Konzept abschreckende Wirkung auf potentielle Täter hat. Denn Täter kommen dort zum Ziel, wo viele ahnungslos sind oder wegschauen. Doch wenn es viele gibt, die wachsam sind, die bemerken, dass gerade irgendwas komisch ist, die nicht wegschauen oder schweigend darüber hinweggehen, dann lässt sich vielleicht eine verhängnisvolle Entwicklung aufhalten. Bei der Arbeit am Schutzkonzept bemerke ich an mir selbst Widerstände. Denen will ich eine Stimme geben und darauf antworten.

„Bei uns doch nicht!“

Ja, uns ist kein Fall in unserer Gemeinde bekanntgeworden. Wir sind erleichtert. Aber vielleicht gab es doch mal eine Grenzüberschreitung oder gar einen Übergriff, von denen nichts bekannt wurde, weil alle eine Decke des Schweigens darübergelegt haben? Und wer ist „Wir“? Menschen kommen und gehen in dieser Gemeinde. Das „Wir“ ändert sich. Neue Kinder und Jugendliche wachsen heran. Und die sollen sich bei „uns“ genauso wohlfühlen wie die Kinder und Jugendlichen in den 90er-Jahren – dazu will das Schutzkonzept beitragen!

„Wir sind doch so eine freundliche Kirchengemeinde!“

Ja, sind wir! Und das ist wertvoll! Doch wir sind erschüttert, dass es in freundlichen Kirchengemeinden wie der unseren zu Vorfällen gekommen ist. Es gibt Täter, die nutzen die freundliche Atmosphäre aus, das allgemeine Vertrauen, die Nähe, auch einen ungezwungenen Umgang miteinander. Sie lassen sich Zeit, sie bauen Vertrauen und Nähe zu einer Person auf – bis sie die ausnutzen.

„Verdächtigt ab sofort hier jeder jeden?“

Da ist was dran – und doch ist das übertrieben! An zwei Abenden saßen Jugendliche und Erwachsene dieser Gemeinde zusammen und haben überlegt: Wo gibt es gefährliche Situationen bei uns? Herrscht bei uns eine Atmosphäre, die Übergriffe begünstigt? Da stehen wir plötzlich alle auf dem Prüfstand. Das ist notwendig, und es ist heilsam. Wir werden vorsichtig – und selbstkritisch. Ich als Pfarrer muss ja sehen, dass Amtskollegen übergriffig wurden und werden. Ich versuche deshalb, mir bewusst zu machen, wie ich mit Kindern und Jugendlichen umgehe und was ich dabei vermeiden will. Ich verdächtige also kurz mal mich selbst.
Das macht mir keine miese Laune. Es bringt mich weiter. Aber nicht nur als einzelne schauen wir auf uns. Wir reden miteinander darüber. Wir schaffen eine Atmosphäre, in der alle offen was ansprechen können, auch wenn sie unsicher sind, ob da wirklich irgendwas komisch ist oder sie das übertrieben
interpretieren.

„Warum soll ICH mich damit beschäftigen?“

Um mit anderen Aktiven zusammen wachsam zu sein und kritische Situationen zu erkennen – und um dein eigenes Verhalten zu verbessern. Als Christenmensch möchte ich doch Nächstenliebe leben, möchte andere fördern, sie sollen sich in meiner Nähe entfalten können. Das Schutzkonzept regt dazu an, im eigenen Verhalten klarer zu werden.

„Übergriffe kann man doch letztlich nicht verhindern“

Doch, kann man, siehe oben! Was kann ich zur Prävention sexualisierter Gewalt beitragen? Dass ich in meinem Umfeld wach bin und Situationen bemerke und anspreche, die komisch sind; dass ich in meiner Kirchenarbeit für ein Klima sorge, das Menschen stärkt. So wird im Schutzkonzept immer wieder dazu ermuntert, in jeder Situation allen die „Voice-Choice-Exit-Option“ offenzuhalten. Voice: Ich kann offen sagen, was ich von einer Veranstaltung halte. Choice: Ich habe die Wahl, ob ich jetzt mitmachen will oder nicht. Exit: Ich kann jederzeit aussteigen und muss nicht bis zum Schluss mitmachen. Prävention führt also dazu, Personen ernst zu nehmen und ihre Selbständigkeit zu fördern. Das ist doch ein schönes Projekt für
uns alle.

Pfarrer Sebastian Degkwitz