Nathan Kurz, Sohn amerikanischer Eltern, auf den Philippinen geboren, erzählte mir, wie er Weihnachten als Kind erst auf der Insel, dann später in den USA erlebte und was er an der Advents- und Weihnachtszeit hier in Deutschland schätzt.
Ich wurde als Kind amerikanischer Eltern auf den Philippinen geboren. Da mein Vater Pfarrer war, waren unserer Familie christliche Werte und Traditionen sehr wichtig und auch vertraut.
Weihnachten auf einer tropischen Insel war für mich als Kind etwas ganz Besonderes. In der Schule wurden zum Thema Weihnachten viele Theaterstücke, Musicals oder Konzerte einstudiert und aufgeführt. Eine besonders schöne Sache war ein Wettbewerb, bei dem ein Weihnachtsstern (Parol) aus Bambushölzern gebastelt wurde. Dieser wurde in einer doppelten Lage zu einem fünfzackigen Stern zusammengebunden, anschließend mit farbigem Zellophanpapier bespannt und ähnlich wie bei einem Drachen noch aus bunten Papieren eine Art Schweif angebracht.
Eine sehr schöne Sache war auch das Singen von Weihnachtsliedern im Freien. Dazu traf man sich zu mehreren bei den Nachbarn am Gartenzaun, sang ein paar Lieder und zog dann weiter zum Nächsten. Es wurde in dieser Zeit auch sehr viel getanzt, gefeiert und die Freude auf das bevorstehende Fest zum Ausdruck gebracht.
Das Singen war auch in unserer Familie sehr wichtig. Wir hatten fast jeden Abend eine Familienandacht; mein Vater las aus der Bibel vor, wir beteten das Vaterunser und sangen ein Lied. Aber in der Adventszeit (ja, wir hatten einen Adventskranz auf dem Tisch) zogen wir oft ein Liedblatt heraus (mit über 40 Liedern) und sangen wochenlang gemeinsam Weihnachtslieder... normalerweise zwei pro Abend. Unsere Eltern entschieden, wer als nächstes an der Reihe war, und wenn wir an der Reihe waren, durften wir uns unser Lieblingslied aussuchen.
Da es in der amerikanischen Tradition keine Adventszeit gibt, war unser Haus dann immer bereits nach Thanksgiving (Ende November) mit einem Weihnachtsbaum geschmückt, unter den im Lauf der Wochen bis zum Heiligabend immer mehr Geschenke gelegt wurden. Die Türrahmen waren geschmückt mit vielen Weihnachtskarten, die wir von unseren zahlreichen internationalen Freunden geschickt bekamen.
Zurück in den USA hielt ich die Tradition des Bambusstern Bastelns noch eine Weile aufrecht, weil mich das doch sehr beeindruckt hatte. Es gab dann auch hier in der Öffentlichkeit sehr viel Musik und bunte Dekorationen, allerdings fehlte mir da die natürliche Stimmung, die auf den Philippinen geherrscht hatte.
Hier hatte man den Eindruck, dass das eigentliche Ereignis, nämlich die Freude über die Geburt Jesu, nur zweitrangig war. Weihnachten war ein kulturelles Ereignis und stark konsumorientiert - Verkaufszahlen, die einen großen Teil des Jahresumsatzes ausmachten. Für viele Christen war Weihnachten eine heilige, magische Zeit - und sie war zutiefst bewegend. Kulturell wurde Jesus jedoch zunehmend durch den Weihnachtsmann, Geschenke, gutes Essen, gute Laune und guten Willen ersetzt.
Das führt zu Kampagnen, die die Menschen daran erinnern sollen, dass “Jesus is the reason for the season.” - „Jesus der Grund für diese Jahreszeit ist“. Die Weihnachtszeit ist die Zeit der wunderbaren Geschichten über Menschen, die Gutes tun, um einander zu helfen, eine Zeit des kollektiven Wohlbefindens, in der sich jeder wünscht, dass die Welt gerecht und freundlich ist, in der jedem geholfen und jeder geliebt wird.
Heiligabend (24.12.) war die Zeit der Weihnachtsspiele und der Weihnachtsgottesdienste bei Kerzenschein mit viel Gesang. Danach wurden die letzten Familiengeschenke unter den Baum gelegt und die Leute gingen zu Bett. Viele ließen ein Glas Milch und ein paar Kekse für den Weihnachtsmann zurück, der in der Nacht durch den Schornstein kam und noch mehr Geschenke brachte. Für Kinder, die keine Geschenke hatten, war die Nacht voller Erwartung, dass am nächsten Morgen etwas unter dem Baum liegen würde.
Wenn man am Weihnachtstag (25.12.) nicht in die Kirche geht, stehen die Kinder früh auf, schleichen zum Baum und suchen nach Geschenken mit ihrem Namen. Sie heben sie auf und hoffen auf das gewisse Etwas. Wenn du in die Kirche gehst, musst du mit dem Auspacken deiner Geschenke bis danach warten. Alle sitzen herum und öffnen abwechselnd ihre Geschenke, und wenn man Glück hat, hat man eine Menge guter Sachen bekommen.
Am Tag nach Weihnachten sind die Geschäfte wieder geöffnet, und alle sind damit beschäftigt, die Sachen zurückzubringen, die ihnen nicht gefallen haben, die ihnen nicht passten oder die sie nicht haben wollten. Der Baum wird abgebaut, und die Aufmerksamkeit richtet sich auf das neue Jahr. Ich empfand und empfinde das heute noch immer als sehr plötzlichen Abbruch.
Da gefällt mir die deutsche Tradition der Advents- und Weihnachtszeit wesentlich besser. Die christliche Kultur findet sich hier in viel mehr Dingen: Besinnliche Andachten, schöne Weihnachtsgottesdienste, wundervoll gestaltete Krippen, ja selbst traditionelle Weihnachtsmärkte vermitteln ein Gefühl, dass diese Zeit etwas Besonderes ist. Weihnachten gehört für mich zum Leben und damit meine ich nicht die Geschenke. Nein, das Wunder der Heiligen Nacht nachzuspüren, Ruhe und Besinnlichkeit zu erleben, das ist das Wesentliche, das ich in Weihnachten sehe.
Wenn ich, wie schon öfters, auf dem Jakobsweg unterwegs bin und über mir in der Dunkelheit nur die Sterne mir den Weg zeigen, dann empfinde ich eine tiefe Ruhe in mir: So muss es den Heiligen Drei Königen ergangen sein auf dem Weg zum Stall: Freudige Erwartung und Ruhe.
Das Gespräch führte Doris Riepl