Frau Wein, als Pfarrerin sind Sie Seelsorgerin im Klinikum Neuperlach. Wie sorgt man für die Seele eines anderen Menschen?
Indem man den Gesprächspartner, die Gesprächspartnerin dabei unterstützt, Selbstfürsorge zu betreiben. Das geht am besten durch aktives Zuhören und z. T. gezieltes Nachfragen. In der Seelsorge spricht man da auch von der „Hebammenkunst“. Damit ist gemeint, dass ich als Seelsorgerin dabei helfe, dass im Gespräch zum Vorschein kommen kann, was beim Patienten an eigenen Ressourcen und Fähigkeiten bereits vorhanden ist, um mit der augenblicklichen herausfordernden Situation besser umgehen zu können. Das begleitende Dabeisein kann die Patient*innen dabei unterstützen, selbst zu erspüren, was der Seele gerade guttut und das kann sehr unterschiedlich sein: ein Gespräch über die gegenwärtige gesundheitliche Situation; ein Spaziergang auf dem Klinikgelände; ein gemeinsames Gebet; ein stilles Dabeisitzen, wenn die Kraft nachlässt; ein gemeinsamer Blick auf die bisherige Lebensgeschichte oder auf alte Verletzungen, die das Leben zugefügt hat. Oft ist die Begegnung auch ein Ort, an dem die Patient*innen ihren augenblicklichen Gefühlen wie Angst, Ohnmacht, tiefe Trauer oder auch Wut nachspüren können und diesen auch freien Lauf lassen dürfen. Immer wieder kommt auch die Frage nach dem Warum auf. Manch eine Begegnung entwickelt sich zur langfristigen Begleitung, teilweise bis ins Sterben hinein.
Wer im Krankenhaus sucht alles das Gespräch mit Ihnen: Sind es nur die Patienten, die evangelisch sind?
Nein, die Zeiten sind lange vorbei. Das Krankenhaus ist ein säkularer Ort, Abbild des gesamten gesellschaftlichen Spektrums. Wenn ich ein Zimmer zum ersten Mal betrete, weiß ich meistens vorher nicht, wen ich dort antreffen werde. Im Klinikum begegne ich z.B. Patient*innen, die schon lange aus der Kirche ausgetreten sind oder die einer ganz anderen Religionsgemeinschaft angehören. Inzwischen ist es in der Klinikseelsorge Standard, dass ein Gesprächsangebot grundsätzlich allen gilt, die das gerne möchten. Mir ist es ein Anliegen achtsam und wertschätzend mit allen Lebens-und Glaubensentwürfen umzugehen.
Dann sind da natürlich auch noch die An- und Zugehörigen der Patient*innen, zu denen ja ebenfalls Kontakt entsteht, der manchmal auch über den Tod eines Patienten, einer Patientin hinaus noch erhalten bleibt.
Eine weitere Gruppe sind die Mitarbeiter*innen des Klinikums, für die wir Seelsorger sowohl bei privaten, wie auch beruflichen Problemen gerne da sind.
Was fällt Ihnen manchmal schwer, und was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Dienst im Krankenhaus?
In der München Klinik Neuperlach und in der Heliosklinik in Altperlach werden Erwachsene behandelt; da habe ich es gelernt, auch mit tragischen Situationen umzugehen. Ich denke nicht, dass ich es aushalten würde, dauerhaft auf einer Kinderpalliativstation zu arbeiten. Schwerer fallen mir auch Besuche bei Patient*innen, die nicht mehr ansprechbar sind und nicht mehr reagieren können. Wenn ich keine Info über deren lebensgeschichtlichen Hintergrund habe und ich mir nicht sicher sein kann, ob es ihnen gerade überhaupt recht ist, dass ich eine Zeit lang bei ihnen bin.
Besonders gefällt mir, dass die meisten Menschen sehr offen für eine Begegnung sind und ich entweder mit einem „schön, dass Sie da sind“ begrüßt werde oder nach ein paar abtastenden Sätzen eingeladen werde, zu einem Gespräch zu bleiben. Es ist bereichernd und oft auch spannend, an den unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Patient*innen und deren Lebensentwürfen teilhaben zu dürfen. Das gegenseitige Vertrauen und das gemeinsame sich auf einen Weg machen, auch in sehr belastenden Situationen, ist eine sehr intensive Erfahrung, die auch in mir Spuren hinterlässt.
Wer unterstützt Sie in Ihrer Arbeit?
Es ist zeitlich nicht zu schaffen, alle Patient*innen zu besuchen, deshalb bin ich dankbar für die Unterstützung durch die Ehrenamtlichen in der Seelsorge und auch im Gottesdienst. Zurzeit sind zwei Ehrenamtliche auf den Stationen unterwegs. Die beiden kommen in der Regel einmal in der Woche für ca. 2 Stunden, um Besuche zu machen. Durch Corona haben leider zwei andere Ehrenamtliche aufgehört. Es würde mich sehr freuen, wenn wir wieder neue Mitarbeiter*innen für unser Team gewinnen könnten.
Die nächste Gelegenheit für eine Ausbildung wäre schon in diesem Herbst, bzw. Anfang nächsten Jahres. Wenn jemand Interesse hat, freue ich mich, wenn Sie sich möglichst zeitnah bei mir melden.
Eine weitere Hilfe für unsere Arbeit ist auch die Vernetzung mit den Mitarbeiter*innen im Klinikum. So erhalten wir Seelsorger wertvolle Hinweise vom Pflegepersonal oder von Ärzt*innen, wem gerade ein Besuch guttun könnte.
Und dann sind da zum Glück noch meine katholischen Kolleginnen. Die gute und enge Zusammenarbeit im Hauptamtlichen-Team und der Austausch miteinander sind eine wichtige Basis für meine Arbeit geworden, zumal ich gerne im Team arbeite und keine Einzelkämpferin bin.
Ich bin im Krankenhaus Neuperlach und merke, mir würde ein offenes Ohr guttun. Wie erreiche ich die Klinikseelsorge?
Das ist einfach. Sowohl im Eingangsbereich bei der Kapelle als auch auf jeder Station sind unsere Telefonnummern hinterlegt. Sie können sich selber an uns wenden oder auch die Pflegekräfte bitten, für Sie anzurufen. Manchmal werden wir auch durch Angehörige verständigt. Da wir ökumenisch zusammenarbeiten ist eine/einer von uns rund um die Uhr erreichbar. Von 9-17 Uhr sind wir im Haus, danach wird der Ruf an den diensthabenden Seelsorger weitergeleitet. Inzwischen haben wir auch eine gemeinsame Rufbereitschaft mit der München Klinik in Harlaching.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Das Gespräch führte Vikar Yannick Schlote