Wes Geistes Kind sind Sie?

„Wes Geistes Kind sind Sie?“ Ich bin kein Kind von Traurigkeit, sagen Sie vielleicht. Oder: Ich bin ein Kind meiner Zeit. Solche Redewendungen zeigen an: Wir tauchen immer in einen Geist ein, der schon vor uns da ist. Eine Atmosphäre wirkt und zieht uns in sich hinein. Wes Geistes Kind also sind Sie? Welche Überzeugungen sind in Ihnen gereift? Welche Emotionen wohnen in Ihnen?

Alte Bibelhandschriften schreiben diese Frage Jesus zu: Als er in einem Dorf keine Herberge bekommt, wollen seine Jünger den Ort verfluchen. Jesus aber fragt: Wisst ihr nicht, wes Geistes Kind ihr seid? (Lk 9,52-55.) Die Frage hat wohl erst ein Späterer dazugeschrieben.

Doch sie passt zu Jesus. Sie macht uns selbstverantwortlich. Kocht bei uns Wut hoch, sollen wir uns diese Frage stellen. Denn so wie Jesu Jünger meinen auch
wir oft, wir dürften in berechtigtem Zorn gegen die da oben oder da drüben wettern. Jesu Jünger sind gar versucht, ihre hartherzigen Zeitgenossen zu verfluchen. Wir machen’s kaum besser, wenn wir bestimmte Leute abschreiben, sie für hoffnungslos verirrt halten und verbal in die Wüste schicken. In mancher politischen Diskussion verdrängt die persönliche Verunglimpfung das Argument.

Wo das passiert, können wir uns vorstellen, dass Jesus einschreitet und fragt: Wisst ihr nicht, wes Geistes Kind ihr seid? Ihr vergesst euch gerade. Ihr vergesst nämlich den Geist, der euch gegeben ist. Und dieser Geist ist großzügig und bewohnt am liebsten alle: alt und jung, Mann und Frau, Menschen aller Völker. Dieser Geist erlaubt nicht, irgendeinen Menschen aufzugeben oder auszuschließen.

Jesu Geist will das Gegenteil von unseren spontanen Impulsen: Wo wir verfluchen wollen, ist dieser Geist bereit, dem verhassten Feind Segen zu wünschen (Röm 12,14). Wo wir mit jemandem fertig sind, ist Jesu Geist wohlmeinend und kann mit ihm etwas anfangen.

Wir vermissen diesen Geist schmerzlich, wenn wir auf den russischen Angriff auf die Ukraine schauen, auf Hartherzigkeit und die verschlossenen Ohren. Aber ich bin froh über alle Orte, wo dieser Geist an der Arbeit ist, überall, wo Menschen sich
verständigen. Ich denke an die Vereinten Nationen, aber auch an die EU. Da wollen 27 Länder aufeinander hören, die Interessen der anderen nicht übergehen, sondern gelten lassen und in eine gemeinsame Lösung einbeziehen. So ist die EU geradezu ein pfingstliches Ereignis. Aber wir können an ihr auch sehen, wie mühsam das ist, wie streitanfällig.

Doch bei allem Streit und mancher Blockade ist das Feuer des pfingstlichen Geistes nicht auszulöschen: Dass Menschen von Gott ergriffen werden und er sie würdigt, seine Mitarbeitenden zu sein, auch wenn sie sich im Streit verhaken. Pfingsten bedeutet, Gott macht weiter damit, die Menschen in seinem Geist zusammenzuführen. Lassen wir uns doch privat, in der Gemeinde und öffentlich darauf ein!

Pfarrer Sebastian Degkwitz