„Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“ (Jak 1,22): Nur wenige haben Anfang der 1940er-Jahre den Mut, sich gegen die Diktatur zu stellen und für ihre Überzeugung einzutreten. Sophie Scholl bezahlte diesen Mut mit ihrem Leben.
Wichtige Ereignisse im kurzen Leben von Sophie Scholl haben sich in der Stadt abgespielt, in der auch ich wohne. Zu ihrem 100. Geburtstag begebe ich mich auf einen Rundgang und folge den Spuren ihres Widerstands.
Mein erster Halt ist die Ludwig-Maximilians-Universität. Wer das Gebäude betritt, gelangt über eine große Treppe in den überdachten Lichthof, eine Halle mit steinernem Fußboden und mehreren Galerien. Ich steige die Treppe zum zweiten Stock hinauf und blicke hinunter. Hier oben hat Sophie Scholl am 18.02.1943 einem Stapel Flugblätter einen Stoß versetzt. Die Papiere segelten hinunter zu den Studierenden und verteilten sich in der Halle. Auf ihnen riefen die Mitglieder der „Weißen Rose“ zum Widerstand gegen die NS-Herrschaft auf. Eine überaus mutige Aktion mit einem hohen Preis: Sophie Scholl wurde beobachtet und gemeinsam mit ihrem Bruder Hans verhaftet. Wenn ich ihren Spuren weiter folgen will, muss ich den Ort wechseln.
Mein nächster Halt ist das Gefängnis Stadelheim im Stadtteil Giesing. Beim Anblick der kalten großen Mauern befällt mich jedes Mal Unbehagen. Was dahinter wohl schon alles passiert ist? Der evangelische Gefängnispfarrer Karl Alt erinnert sich, wie er die Gefängniszelle von Hans Scholl betrat: „Sehr verunsichert und mit bebendem Herzen.“ Er habe nicht gewusst, wie er den Todeskandidaten in der kurzen Frist bis zur Hinrichtung seelsorgerlich begleiten kann. Hans habe ihn nach einem festen Händedruck gebeten, Psalm 90 zu lesen und das „Hohe Lied der Liebe“ (1.Kor 13). Gemeinsam mit Sophie Scholl hat Pfarrer Alt das Abendmahl gefeiert, bis der Wächter an die Zellentüre pochte. Kaum vier Tage waren seit der Protestaktion vergangen. Dann wurden die Geschwister und Christoph Probst, ein weiteres Mitglied der „Weißen Rose“, in Stadelheim hingerichtet.
Mein letzter Halt auf den Spuren von Sophie Scholl ist der Friedhof am Perlacher Forst. Zwei Tage nach ihrer Ermordung beerdigte Pfarrer Alt sie dort. Ihr Grab ist eingefasst von einer kleinen Hecke und bestens gepflegt. Große Eisenkreuze erinnern mich an die harte Realität dieser Ereignisse. Sophie Scholl hat für ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Sie wurde nur 21 Jahre alt. Ihre Ideen konnten die Nazis nicht auslöschen: Bereits kurz nach der Ermordung stand an der Mauer der Universität der Schriftzug „Scholl lebt! Ihr könnt den Körper, aber niemals den Geist zerstören!“ Mittlerweile tragen Straßen, Plätze und sogar Kirchengemeinden stolz ihren Namen.
„Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“ (Jak 1,22).
Dieser Bibelvers hat Sophie Scholl auf ihrem Lebensweg begleitet - er taucht immer wieder in Briefen auf. Am Ende meines Rundgangs bin ich beeindruckt, wie mutig sie sich an diese Worte aus der Bibel gehalten hat. Ihre Geschichte wird lebendig, wenn ich an den Orten der Geschehnisse stehe. So lebendig, dass der Vers auch mich zum Nachdenken bringt: Wo finden Glaube und Tat in unserem Leben zusammen? Für was stehen wir ein? Bedeutende Fragen zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl.